Das Mittelalter lässt grüßen

Füssens Stadtarchitektur

Was für ein Ausblick! Wer vom Franziskanerkloster aus auf die pittoreske Stadt schaut, unternimmt eine Zeitreise – mitten hinein ins Mittelalter. Auf dem Höhenzug thront die Sommerresidenz der Fürstbischöfe von Augsburg, das Hohe Schloss. Links ist das ehemalige Benediktinerkloster Sankt Mang zu sehen, das mehr als 1000 Jahre nicht nur das religiöse, sondern auch das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der ganzen Region war. Unten reihen und schmiegen sich Häuser mit steilen, gotischen Giebeln um die imposanten Bauten. Auch wenn es heute so aussieht, als ob Füssen als Gesamtkunstwerk am Reißbrett geplant wurde, wuchs dieses mittelalterliche Ensemble über die Jahrhunderte zu seiner imposanten Erscheinung heran. Es macht Spaß, in die Architektur der Altstadt einzutauchen und nicht „nur“ zu flanieren, die Auslagen in den Geschäften zu betrachten oder die manchmal fast mediterrane Atmosphäre zu genießen. Wer beim Spaziergang den Kopf in den Nacken legt, in Seitengassen einbiegt und sich Aussichtsplätze über die Stadt erobert, wird Besonderes und Überraschendes entdecken.

 

Die Wechselwirkung zwischen politischen Machtverhältnissen, gesellschaftlichen Entwicklungen, Natureinflüssen und der Stadtarchitektur ist in Füssen an vielen Stellen deutlich zu erkennen. Treppenartige Giebel, Lastzüge, mittelalterliche Fachwerk- und Steinbauten hinter barocken Hausfassaden, Durchgänge, Mauerreste, Wehrgänge, Türme, ein erhaltenes Stadttor und einen Stadtgraben – sie alle erzählen vom Wachsen, Leben und Arbeiten in der mittelalterlichen Stadt. Ein Glücksfall, dass hier noch so viel „alte“ Substanz erhalten ist. „Füssen ist historisch so kompakt und für Mittelalterfans ein richtiges Kleinod. Hier kann man die geschichtlichen Komponenten zu Fuß schnell und rasch erleben. Das ist wirklich Meran im Allgäu. Es gibt wenig intakte Ensembles, die so gut überschaubar sind. Das gefällt mir an der Stadt sehr“, meint der Mittelalterarchäologe, Historiker und Burgenforscher Dr. Joachim Zeune. Er kam über die Sanierung der Burgruine Hohenfreyberg ins Allgäu, forscht am Hohen Schloss und ist an vielen Ausgrabungen in der Stadt beteiligt. Dabei hat er vor einigen Jahren einen der Stadttürme unter der Erde entdeckt. Da Füssens Altstadt unter Ensembleschutz steht, wird jede noch so kleine Baumaßnahme wie beispielsweise die Verlegung eines Anschlusses oder einer Gasleitung von ihm als Fachmann begleitet.

 

Der grüne Wilde ist der Hauptgrund, warum überhaupt Menschen an diesem Platz siedelten: der Lech. Ohne ihn lässt sich deshalb auch die Stadtarchitektur Füssens nicht erklären. Er war eine Lebensader und seine immense Kraft schreibt ein ganz eigenes Stück Entwicklungsgeschichte. Bereits die Römer sollen ihre Waren und Waffen auf dem Lech nach Augsburg geflößt haben. Oben auf dem heutigen Schlossberg stand in der spätrömischen Kaiserzeit das Kastell Foetes, von dem aus Soldaten den Lechübergang sicherten. Füssen war ein Etappenort auf der Alpentransversale und römischen Militärstraße Via Claudia Augusta zwischen Norditalien und der Donau und verkehrsstrategisch wie wirtschaftlich bedeutsam für die Römer. Nachweise für eine Besiedlung des Ortes aus den Jahrhunderten direkt nach der Römerzeit sind nicht erhalten geblieben. So schreibt sich die Geschichte Füssens erst im Mittelalter fort. Zu dieser Zeit war die Stadt wiederum ein begehrter Rast- und Haltepunkt an der „Oberen Straße“, wie die vormalige Via Claudia nun genannt wurde, als enorm wichtige Verkehrs- und Handelsachse zwischen Venedig und Augsburg.

Historische Stadtansicht: Museum der Stadt Füssen, Leihgabe Historischer Verein Alt Füssen

Von Füssen aus war es Händlern wie Reisenden möglich, in Richtung Norden auf dem Wasser weiterzukommen. Ab hier war der Lech floßtauglich, so dass Waren aller Art, vor allem viel Salz und Holz, außerdem Wein und Öl aus Italien, Getreide, Kalk, Gips und Erze transportiert werden konnten. Die Flößerei war die älteste Zunft in Füssen und lange Zeit ein wirtschaftlich sehr erfolgreiches Handwerk. Der Lech zählte während dieser Zeit zu den bedeutenden Wasserstraßen im Land. Als Füssen Ende des 13. Jahrhunderts zur Stadt erhoben wurde, bekam sie auch ein Sonderrecht verliehen: das Stapelrecht. Durchreisende Händler waren gezwungen, ihre Waren anzubieten. Das stärkte die Handelskraft, gleichzeitig verdiente die Stadt an Maut, Steuern und Zöllen für zwischengehandelte Waren kräftig mit. In der heutigen Floßergasse ist noch ein Giebelhaus aus dem 16. Jahrhundert erhalten und – ein Stück weiter in Richtung Franziskanerkloster – das direkt am Lech gelegene Bleichertor als einziges verbliebenes Stadttor. Es trägt noch das Wappen mit der aus dem Latein übersetzten Bauinschrift: Friedrich, ehemaliger Graf von Zollern, Bischof von Augsburg, baute mich 1503. Das Tor wurde von Flößern und Bleichern als Zugang zum Lech genutzt, die hier ihre Flöße banden und Leintücher bleichten.

 

 

Der Lech war also ein bedeutender Faktor für die Stadtgründung und -entwicklung. Es gab aber noch einen zweiten: das Kloster Sankt Mang. Und selbst hier spielt der wilde Fluss eine Rolle. Als der Wandermönch Magnus vom Kloster Sankt Gallen ins Allgäu entsandt wurde, um die Bevölkerung zu christianisieren, ließ er sich im 8. Jahrhundert am Lechufer nieder. Und soll sich, so erzählt es die Magnussage, auf der Flucht vor wilden Tieren, die als Symbol für die nicht christianisierten, ungläubigen Heiden zu verstehen sind, mit einem kühnen Sprung über die Lechschlucht gerettet haben. Auf dem Gemälde oben, das in der Staatsgalerie im Hohen Schloss ausgestellt ist, besänftigt er einen Drachen und bleibt auch ganz gelassen, als ihn freche Lechgeister necken.

Im 9. Jahrhundert gründete der Bischof von Augsburg am Ort der Mönchszelle, in der Magnus in Füssen bis zu seinem Tod gelebt haben soll, das Benediktinerkloster St. Mang. Dessen Kreuzgang als einziger spätromanischer Bau in Füssen ist teilweise noch erhalten und über das Museum der Stadt Füssen zu besichtigen. Anfang des 18. Jahrhunderts wurde das Kloster nach Plänen von Johann Jakob Herkomer auf den mittelalterlichen Grundmauern im barocken Stil neu erbaut und „beherbergt“ heute neben dem Museum auch das Rathaus.

Museum der Stadt Füssen

Das Kloster zog Handwerker und Kaufleute an, denn die Mönche hatten Bedarf an verschiedensten Dienstleistungen und Gütern. So kamen Drechsler, Seiler, Färber, Schmiede, Schreiner, Steinmetze, Bäcker und Metzger hierher. Im Früh- und Hochmittelalter spielte sich das Leben im direkten Umfeld des Klosters ab. Die Menschen lebten in einer losen Siedlung, einem Dorf, zusammen, das im 13. Jahrhundert schon „städtisches“ Ausmaß angenommen hatte. Um 1280 erhob Kaiser Rudolf von Habsburg Füssen zur Stadt und verlieh damit das Recht auf eine eigene Verwaltung, das Marktrecht und das Verteidigungsrecht. Damit wurden nicht nur Belange des Zusammenlebens und des Handels geregelt, sondern die bisherige Siedlung bekam eine feste Umarmung: eine Stadtmauer. Sie zu bauen, war nicht nur Privileg sondern auch Pflicht, denn die Handeltreibenden und Handwerker sollten geschützt vor Überfällen und Plünderungen arbeiten können.

 

Der Bau der Mauer um den Stadtring herum fand in Etappen statt. Begonnen wurde diese nach der Stadterhebung um 1280, wobei zunächst eine einfache turmlose Bruchsteinmauer gebaut wurde. Sie umfasste auch das Kloster und den Schlossberg, auf dem später das Hohe Schloss errichtet wurde. Nachts wurden ihre Eingänge mit Holztoren verschlossen. So bot die Mauer zumindest einen einfachen Schutz. Reste dieser Bruchsteinmauer ziehen sich heute noch parallel zum Faulbachgäßchen unterhalb der Barockkirche St. Mang zum äußeren Schlosstor im Westen der Stadt. Im 14. Jahrhundert wurde die Mauer weiter ausgebaut und es wurden Tortürme errichtet.

Anfang des 16. Jahrhunderts wurde die Mauer dann durch einen zweiten Mauerhalbring erweitert, um auch die innere Lechvorstadt und die Pfarrkirche St. Stephan einzugliedern. Diese Erweiterungsmauer nahe des Krankenhauses ist noch gut erhalten und vom Garten des Franziskanerklosters oder vom südlichen Lechufer mit Blick auf St. Stephan zu sehen. Bei der Stadtführung „Füssen im Mittelalter“, die Dr. Joachim Zeune konzipiert hat, kann der Wehrgang mit den vier Rundtürmen und ihren schönen, aus Holz konstruierten Kegeldächern besichtigt werden. Vom Wehrgang aus hat man interessante Ausblicke auf den Alten Friedhof, das Franziskanerkloster und die Umgebung Füssens.

 

Eckpfeiler der mittelalterlichen Stadtbefestigung war das Hohe Schloss, das wegen seiner Fassadenmalereien heute zu den bedeutendsten spätmittelalterlichen Profanbauten Deutschlands zählt. Immer wieder hatten im 13. Jahrhundert die bayerischen Herzöge Ansprüche auf Füssen erhoben, denn aufgrund seiner Lage an Handelsstraße und Fluss war der Ort wirtschaftlich ungemein attraktiv. Als Kaiser Rudolf von Habsburg 1291 starb, wollten die Bayern die Gunst der Stunde nutzen und ihre Machtansprüche festigen. So begann der bayerische Herzog Ludwig der Strenge im gleichen Jahr mit dem Bau einer Burg auf dem Schlossberg – illegal. Denn der Berg gehörte zu dieser Zeit dem Kloster St. Mang und Abt und Konvent duldeten keine Zwingburg über sich. So musste Ludwig die Bauarbeiten einstellen.

 

Seit 1313 gehörte Füssen zum Hochstift Augsburg, der Bischof war als Fürstbischof gleichzeitig weltlicher Landes- und Stadtherr. 1322 erwarb Augsburgs Bischof Friedrich I. den Schlossberg und ließ die bis dahin wohl nur ein- bis zweigeschossigen Burgmauern zu einem stattlichen Pflegeamtssitz ausbauen. Von da an wurde fleißig weiter gebaut, erweitert und befestigt. Um 1500 wurde unter Fürstbischof Friedrich von Zollern aus der Burg ein beeindruckendes Burgschloss mit Wehrgängen, Türmen und Zwingerbefestigungen. Der Bischof gewährte der Stadt zudem drei Jahre lang seine Zolleinnahmen, um die Stadtmauern zu erhalten und weiter auszubauen.

 

Ihre Befestigung war im Mittelalter zugleich das Statussymbol einer Stadt: Je mehr und je höher die Türme der Stadtmauer, desto mehr Wohlstand konnte die Stadt nach außen hin demonstrieren. Füssens Mauer hatte vermutlich bis zu 14 Türme. „Für so eine kleine Stadt war das ganz ordentlich und schon mit einem gewissen Anspruch, aber auch nicht herausragend. Das Bistum Augsburg hatte haufenweise Städte, die befestigt werden mussten, was ziemlich viel Geld kostete“, meint Mittelalterexperte Joachim Zeune. Gut erhalten ist der Seilerturm, der um 1500 errichtet wurde. Er markiert den Übergang von der alten zur erweiterten Stadtmauer und steht als Streichwehr besonders weit hervor, denn er sollte die seit der Stadterweiterung besonders lange und damit gefährdete Nordseite schützen. Seinen Namen erhielt er von den Seilern, die in den angrenzenden Wehrgängen ihre Seile trockneten und spannten.

Historische Stadtansicht: Stadtarchiv Füssen

Vom Tor- bzw. Uhrturm im Hohen Schloss wachte der Türmer über die Stadt – und er hatte zugleich eine traumhafte Aussicht auf die umliegenden Berge, den Lech und die kleinteilige Stadt. In der Turmstube, die heutzutage über die Staatsgalerie besichtigt werden kann, schwebt man über den vielen Dächern, Gassen und Kirchen. Beim Blick aus dem Fenster ist auch der ovale Grundriss der Stadt gut zu erkennen, ebenso auf der Federzeichnung von 1632, die Füssen während der Besatzung durch schwedische Truppen zeigt. „Im Mittelalter gab es zwei Typen von Städten: einige, die mit wichtigen Verkehrsachsen am Reißbrett geplant wurden und verschachtelte, die mit der Zeit gewachsen sind“, erklärt Dr. Joachim Zeune. „Füssen ist ein Mischling. Mit der Reichenstraße, die entlang der alten Via Claudia verläuft, gibt es eine sehr schöne geradlinige Nord-Südachse. Sie macht dann aber eine Kurve, weil das Kloster schon da war, damit fehlt sozusagen das Gegenstück mit einer Verbindung, die von Ost nach West führt. Am Füssener Stadtbild ist schön zu erkennen, dass es einen alten Stadtkern um das Kloster und das Schoss herum gab, den man so nicht willentlich geplant haben konnte.“

 

 

Innerhalb der Stadtbefestigung drängen sich bunte Häuser aneinander. In der Drehergasse, der einstigen Heimat der Drechsler, folgen die Häuserzeilen dem Bogen der älteren Stadtmauer. Hier stehen auch die vermutlich ältesten Häuser Füssens im gotischen Stil mit ihrem meist dreigeschossigen Aufbau, Steildach und Giebelaufzug. Über dem Eingang der Hausnummer Eins ist ein Türsturz von 1509 erhalten – mit einem Schreibfehler. „Im 15. Jahrhundert lösten arabische Daten römische Zahlen endgültig ab, weil sie viel einfacher zu schreiben waren. Zumal die Römer in ihrer Zahlenschriftweise die Null nicht kannten. Arabische Zahlen sind dann auch vermehrt an Bauten zu finden. Die „5“ ist hier fälschlicherweise als „3“ geschrieben worden, das passierte anfangs recht häufig“, erklärt Joachim Zeune. Wie überall in der Stadt lohnt es sich, auch in dieser Gasse auf Besonderheiten zu achten. Die nächste wartet gleich gegenüber am Ende der Drehergasse. Direkt am Haus mit der Nummer Vier ist der älteste Teil der Stadtmauer mit einer Öffnung zum Wehrgang zu entdecken. Auf der anderen Hausseite führt ein idyllischer Durchschlupf mit einem Fresko des Ölbergs aus dem 18. Jahrhundert zum Franziskanerplatz mit Kloster, Kirche und Friedhof, die immer erreichbar sein mussten. Wer diesen Fußweg nimmt, ist überrascht, wie lang sich so eine mittelalterliche Parzelle von der Straße nach hinten erstreckt. Von der anderen Seite des Durchgangs blickt man wieder auf den ältesten Stadtmauerring und hinunter zur inneren Lechvorstadt, in der später Vordachhäuser im alpenländischen Stil mit flacherer Dachneigung gebaut wurden.

 

Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts erlebt die Stadt eine wirtschaftliche Blüte. Kaiser Maximilian I. kam zwischen 1492 bis 1518 fast vierzigmal nach Füssen, um den Sommer und den Herbst hier zu verbringen. All das beeinflusste auch das Erscheinungsbild der Stadt. Füssens Gesicht veränderte sich durch die vielen Neuankömmlinge. Es wurde fleißig gebaut. Neben den Häusern der wohlhabenden Kaufleute entstanden auch viele neue Handwerkshäuser. In der Barockzeit wurden sie häufig renoviert und ihre gotische Bausubstanz wurde mit einer barocken Fassade versehen. Zwischen den Häusern öffnen sich kleine, malerische Plätze und es fällt leicht, sich vorzustellen, wie hier reges Markttreiben herrschte. Statt eines zentralen Platzes gab es in Füssen viele kleinere, die alle eine andere Funktion hatten. Sie kann man auch heute meist leicht anhand ihrer Namen erkennen.

 

Auf dem Brotmarkt im ältesten Siedlungskern boten Bäcker den Mönchen und anderen Bewohnern ihre Waren an. Heute steht der Lautenmacher-Brunnen auf dem Platz, das auf ein Spezialhandwerk in Füssen verweist: Die Stadt gilt als Wiege des europäischen Lauten- und Geigenbau. 1562 wurde hier die erste Lautenmacher-Zunft Europas gegründet, die bis ins 18. Jahrhundert aktiv war. Ausschlaggebend dafür waren die günstige Lage am Lech, die Anbindung an die Via Claudia und die Bergwälder mit ihren Eichen-, Ahorn- und Fichtenholz, das ideal für den Geigenbau war und noch heute ist. Im ehemaligen Kloster Sankt Mang wurde musiziert und komponiert. Vor einiger Zeit haben sich wieder Geigenbauer in der Stadt niedergelassen und lassen die alte Tradition wieder aufleben. Es gibt es auch einen Bäckerbrunnen, der steht aber am Schrannenplatz, dem alten Kornmarkt der Stadt, der früher wichtig für den Getreidehandel war. Im Kornhaus von 1483 ist heute die Markthalle untergebracht, bei der man eine kleine Pause während des mittelalterlichen Streifzugs durch die Stadt eingelegen kann.

 

Diese kompakte Siedlungsform mit mehreren Marktplätzen, dicht gedrängten Bürgerhäusern, Kirchen und Rathaus ist neben Stadtmauer und Stadtgraben typisch für eine spätmittelalterliche Stadt. Auch das „Wertgefälle“ ist charakteristisch, d.h. die Wohlhabenden lebten im Zentrum wie in Füssen in der „Reichenstraße“, die Ärmeren am Stadtrand. Einen einheitlichen Stadtbaustil wie in griechischen oder römischen Städten sucht man in einer mittelalterlichen Stadt vergeblich. Es ist ein buntes Sammelsurium, was es aus heutiger Sicht umso spannender macht, auf Spurensuche zu gehen, um Verbindungen aufzuspüren und Zusammenhänge zu erkennen.

 

Für viele Menschen im Mittelalter schien es äußerst attraktiv, in einer Stadt wie Füssen zu wohnen. Sie hofften auf ein freies Leben ohne Abgaben und Frondienste, die sie auf dem Land für ihren Grundherren leisten mussten, und so auf mehr Lohn, einen besseren Lebensstandard und mehr Rechte. Doch auch das Stadtleben war hart: schlechte hygienische Verhältnisse, dürftige medizinische Versorgung, Hunger, Seuchen, Brände, der Schmalkaldische und der Dreißigjährige Krieg, die Besatzung durch napoleonische Truppen. Füssen hatte viele Stürme zu überstehen. So veränderten u.a. drei Großbrände im 15. Jahrhundert die Bauweise in der Stadt. Statt Dächer aus Holz zu bauen, wurden nun Ziegel verwendet und manchmal Zinnenkränze als Hausabschluss vorgesehen, wie in der Reichenstraße 7 oder am Gasthaus Schwanen am Brotmarkt noch zu sehen ist, der früher ein Wirtschaftsgebäude des Klosters war. Außerdem ließ man schmale Abstände zwischen den Häusern als Feuerschutz, aber auch um Fäkalien dazwischen und nicht mehr auf die Straßen zu schütten, was die Hygiene wenigstens ein bisschen verbesserte.

Stadtarchiv Füssen

Architektonisch veränderte sich ab dem 18. Jahrhundert nicht mehr viel in Füssen. Manche Häuser wurden noch im klassizistischen Stil überbaut. Um die Altstadt herum wurde dafür weitergebaut und es entstanden mehrere Wohnsiedlungen unterschiedlichen Charakters. Aber die Stadt hinter den Mauern blieb bestehen, auch wenn manche Einrichtungen und Viertel ihren ursprünglichen Sinn verloren hatten. Im Zweiten Weltkrieg blieb Füssen, abgesehen von der Sprengung der Lechbrücke, nahezu unversehrt. Das Bild oben zeigt den Zustand zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Arme-Leute-Haus, das auch als Grenzwachstation und Zollamt genutzt wurde.

 

Die enge Bauweise bewahrte die Altstadt in ihrem mittelalterlichen Erscheinungsbild, denn es war schwierig, dazwischen ein Haus um- oder auszubauen oder durch einen Neubau zu ersetzen. Man hätte dabei ganze Häuserblöcke oder Straßenzüge verloren. Trotzdem gibt es Bausünden in der Altstadt. „Bevor diese unter Denkmalschutz gestellt wurde, hat Füssen schon viel verloren. So wurden beispielsweise die Stadttürme abgebrochen. Zum Glück hat man aber noch rechtzeitig den touristischen Wert von Füssen erkannt und begonnen, das mittelalterliche Ensemble zu schützen“, meint Joachim Zeune und ergänzt: „Obwohl es für die Einwohner kaum Möglichkeiten zum Parken oder Anliefern gibt, habe ich immer das Gefühl, dass sie es wertschätzen, an so einem schönen Lebensort zu wohnen.“ Fast autofrei macht es umso mehr Spaß, Füssens Nischen, Hinterhöfe und Durchgänge zu Fuß zu erkunden, an der Stadtmauer Eis zu schlecken und bei Sonnenschein zum Himmel zu gucken und die schiefen Giebel, Malereien und Skulpturen an den bunten Häusern zu bewundern. Das Mittelalter lässt grüßen!

 


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