Ruheoase der Stadt
Vier Jahreszeiten, vier Geschichten, vier Perspektiven: Im Sommer grüne Lunge, verschneit ein Wintermärchen - der Stadtpark Baumgarten ist ein ganz besonderer Ort in Füssen. Westlich angrenzend an das Hohe Schloss, das ehemalige Benediktinerkloster Sankt Mang und die Stadtmauer gehört der Landschaftspark zum Baudenkmal "Ensemble Füssen", das den historischen Stadtkern umfasst. Über vier Zugänge kann der Park erreicht werden. Wer von der Altstadt mit ihren kleinen Läden und Cafés südwestlich durch das Stadttor hereinkommt, dem wird sofort offenbar, dass er gerade in einer kleinen Anderszeit gelandet ist. Der drei Hektar große Park mit seinen prächtigen, alten Bäumen und Spazierwegen ist eine Ruheoase, ein Ort zum Aufatmen und Auftanken.
Wer hier an diesem geschichtsträchtigen Ort schon vor Jahrhunderten herumspaziert ist und was es alles braucht, um so ein Kleinod zu erhalten, darum geht es in dieser Anderszeit-Geschichte, die durch die vier Jahreszeiten "reist": Der Frühling erzählt von der spannenden Historie des Baumgartens, der Sommer von der Muße, der Herbst von Bauminspektionen und der Winter von der aufwändigen Pflege.
1. Frühling: Die Geschichte
Angelegt auf einem eiszeitlichen Moränenhügel, dem heutigen Schlossberg, ist der Baumgarten keine optisch perfekte und getrimmte Parkanlage. Er bildet das östliche Ende des Saloberkamms, an dessen Fuß im Süden der wilde, türkisgrüne Lech vorbeifließt. Das Gelände ist höhenmäßig sehr stark ausgeprägt, aber genau das macht den natürlichen und etwas rauen Charakter dieses Landschaftsgartens aus. Der Wegeverlauf ist daran angepasst und die geschwungenen Spazierwege und Baumreihen, die die Wiesenflächen unterteilen, führen zu schattigen Ruhebänken - mit immer neuen Perspektiven auf die umgebende Landschaft.
Im Winter geben die unbelaubten Bäume den Blick auf die gegenüberliegende „äußere Lechvorstadt“ mit bunten Häuserfassaden und dem historischen Gelände der Hanfwerke sowie den bewaldeten Kalvarienberg frei. Sogar der Hausberg von Füssen, der Säuling, grüßt zwischen den Ästen hindurch.
Die Besucher sind hier auf geschichtsträchtigem Boden unterwegs. Über dem Baumgarten thront das Hohe Schloss als einer der bedeutendsten spätmittelalterlichen Profanbauten in Süddeutschland. In der späten römischen Kaiserzeit stand an dieser Stelle das Kastell Foetes, mit dem während der Römerherrschaft der Lechübergang gesichert wurde. Auch die bedeutende römische Fernstraße Via Claudia Augusta führte ganz in der Nähe des Baumgartens vorbei.
Nachdem Füssen Ende des 13. Jahrhunderts das Stadtrecht verliehen worden war, begann der bayerische Herzog Ludwig der Strenge 1291 mit dem Bau einer ersten Burg auf dem Bergsporn über der Stadt, allerdings illegal. Denn der Schlossberg sowie der "agger", wie der Baumgarten erstmals im 14. Jahrhundert in Schriften genannt wurde, gehörte damals und – im Falle des Baumgartens – sogar bis zur Säkularisation 1803 dem Abt und Konvent des ehemaligen Benediktinerklosters Sankt Mang. So musste Bayernherzog Ludwig die Bauarbeiten wieder einstellen.
1322 erwarb der Augsburger Bischof Friedrich I. das Gelände mit der Burg und ließ die Burgmauern zu einem stattlichen Pflegeamtssitz ausbauen. Als dieser ab 1486 unter Bischof Friedrich II. von Zollern erweitert wurde, holte man Baumaterial aus dem natürlichen Graben zwischen Schloss und Baumgarten, wodurch sich die Hangkante vertiefte und das Schloss so zudem besser nach Westen hin abgesichert werden konnte, was auch heute noch gut zu sehen ist.
Vom Kloster St. Mang wurde der Baumgarten bereits um 1500 als „Krautgarten“ genutzt, doch bald wieder aufgegeben, weil die Ernte oft gestohlen wurde. Auch der Versuch Wein anzubauen, schlug – wohl aufgrund des rauen Allgäuer Klimas – fehl. Im 17. Jahrhundert wurde auf dem Höhenzug vermutlich ein Barockgarten angelegt. Nach der Säkularisation kam das Gelände in den Privatbesitz der Familie von Freyberg, von der die Stadt ihn 1895 für 10.000 Mark erwarb und daraus einen öffentlichen Landschaftsgarten für die Stadtbevölkerung gestaltete - mit vorwiegend heimischen Bäumen wie Sommerlinde, Bergahorn, Esche und Rotbuche.
Viele der 190 Bäume stammen aus dieser Zeit und prägen noch heute das Bild des Parks. Sie stehen als Baumreihen oder -gruppen zusammen oder präsentieren sich mit ihren kräftigen Stämmen und üppigen Kronen als stolze Solitäre.
2. Der Sommer: Eine Atempause
Eine kleine Attraktion im Park ist die sogenannte Wasserburg. Die kleine neogotische Burgruine mit Turm und Zinnen wurde unter der Leitung eines Münchener Architekten 1897 erbaut und hatte zwei Funktionen: Zum einen diente sie als Zugang zum ersten Wasserspeicher der Stadt. Das gesamte Wasser, das von den Hängen im Faulenbacher Tal lief, wurde gesammelt und über Rohre hierher transportiert. Das Hochreservoir wurde vor allem als Löschwasserstelle gebraucht.
Zum anderen sollte die Ruine den Baumgarten optisch aufwerten: Nachdem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Tourismus als neue Form des Reisens angelaufen und die Region Füssen mit den benachbarten Königsschlössern, mit Bergen und Seen sich zu einem beliebten Reiseziel für die Sommerfrische entwickelt hatte, bestand der „Verkehrsverein“ Füssen darauf, den Wasserspeicher als Zweckbau mit einer neogotischen Ruine zu überbauen.
Das historische Wasserschloss hat es auch Alina Kapustynska angetan. Die Ukrainerin arbeitet als Assistenzzahnärztin in Pfronten und kommt extra wegen des Baumgartens häufig nach Füssen. „Als ich gehört habe, dass die Stadt die romantische Seele Bayerns genannt wird, habe ich mir schon gedacht, dass das der perfekte Platz für mich ist. Ich bin selbst ein sehr romantischer Mensch und liebe Schlösser, Burgen, die Natur, die Berge und den weiten Himmel. Obwohl ich meine Arbeit sehr mag, ist sie manchmal auch sehr anstrengend und dann bin ich dankbar, wenn ich mich im Baumgarten erholen kann." Seit Kindertagen malt sie gerne und so sucht sie sich immer wieder neue Plätze und Objekte innerhalb des Parks, die sie auf Papier bringen kann.
Die Wasserburg, sagt sie, habe sie bestimmt schon einhundert Mal gezeichnet. „So kann ich meinen Geist beruhigen und mich von meinen Aufgaben ablenken. Ich mag es, mich beim Zeichnen in die Geschichte hineinzudenken und mir vorzustellen, wie die Menschen damals gelebt und empfunden haben. So öffnet sich der Raum hinter dem Objekt und ich halte gleichzeitig den jetzigen Moment fest. Das ist ganz anders, als etwas nur zu fotografieren."
Im üppigen Grün können die Besucher auch bei hochsommerlichen Temperaturen ein schattiges Plätzchen unter den Laubkronen finden und sich eine Atempause gönnen. Auf jeder Bank wartet eine neue Aussicht auf Park, Landschaft und historische Gebäude. Ein grünes Juwel mit viel Raum, um die Gedanken schweifen zu lassen, ein Buch zu lesen oder mit anderen zusammen ein schönes Gespräch zu führen.
Spannend ist es, den Baumgarten von den verschiedenen Himmelsrichtungen aus zu betreten. Eine besonders "dramatische" Kulisse bietet der Zugang über die Fußgängerbrücke im Westen, die sich über eine felsige Schlucht spannt und den Baumgarten vom mit dem Salober-Höhenzug verbindet. Der künstliche Felsdurchbruch unter dem Fußgängersteg wird Morisse genannt und zeigt eindrucksvoll, wie hoch der Baumgarten liegt. Von dem unweit der Fußgängerbrücke gelegenen, kleinen hölzernen Pavillon, der bereits bei der Umgestaltung zu einem öffentlichen Park gebaut und im Laufe der Zeit immer wieder erneuert worden ist, haben Besucher ebenfalls einen schönen Panoramablick auf das hügelige Baumgartengelände und die stattlichen Bäume.
3. Herbst: Die Bauminspektion
Die 190 Bäume im Park sind zusammen mit ihren über 2300 "Kollegen" innerhalb des Stadtgebiets wichtig für das innerstädtische Klima. Sie binden schädliches Kohlendioxid, produzieren Sauerstoff und kühlen die Luft. Außerdem sind die vielfältigen Gehölzarten für Vögel, Fledermäuse und Insekten ein wichtiges Nahrungs- und Brutrevier. Deshalb investiert die Stadt Füssen viel Zeit und Mittel, um die Bäume und auch das historische Erbe und Bild des Stadtparks zu erhalten. Die Bäume einmal jährlich auf "Verkehrssicherheit" zu überprüfen, ist darüber hinaus für alle Kommunen Pflicht. Jeder einzelne "öffentliche" Baum ist mittlerweile digital erfasst.
Thomas Spork hat die "Riesen" im Baumgarten alle im Blick. Der studierte Forstwirst hat sich auf Baummanagement spezialisiert und arbeitet als Sachverständiger für die Firma TreeConsult, die im Auftrag der Stadt alle "öffentlichen" Bäume im Stadtgebiet digital erfasst, überprüft und einen Maßnahmenplan erarbeitet, damit notwendige Pflegearbeiten eingeleitet werden können. Jeder einzelne Baum ist kartiert, beschrieben und hat eine Plakette mit einer Kennnummer bekommen, auch mit jedem neuen Baum wird so verfahren.
„Wir beurteilen den kompletten Baumbestand einer Kommune. In der Datenbank vermerken wir zum Beispiel die Maße des Baums, Standsicherheit, Vitalität, Kronenansatz und seine voraussichtliche Lebenserwartung. Schäden werden nach einem Schulnotensystem bewertet, anhand dessen die Maßnahmen abgeleitet werden, um den Baum und auch den gesamten Park sicher für die Besucher zu halten." Die Bäume müssen also genau untersucht werden, um Totholz, Schäden und Wuchsprobleme rechtzeitig zu erkennen.
Mit dem Schonhammer klopft Thomas Spork die Bäume auf mögliche Hohlräume ab, mit dem Sondierstab untersucht er deren Tiefe. Er braucht für seinen Job ein scharfes Augenmaß und ein gutes Gehör. Wer im Baumgarten genau hinsieht, erkennt in manchen Bäumen Seile, die dabei helfen, ihre Kronen zu sichern, wenn sie durch einen ungünstigen Wuchs bei einem Sturm auseinanderbrechen könnten.
Auch muss sich Spork mit vielen Pilzarten auskennen. Derzeit sorgt er sich um das historische Rotbuchenpärchen, mit 160 Jahren vermutlich die zwei ältesten Bäume im Park. Einer der beiden ist von mehreren Pilzen befallen. „Manche Pilze sind nur Totholzbewohner und schaden dem Baum nicht, andere wie der Brandkrustenpilz gehen aktiv an lebendes Holz und zerstören es." Deshalb wurde eine der Buchen bereits eingehender mit einer Schalltomografie untersucht, mit der genau gemessen werden kann, wie viel tragfähiges Holz noch vorhanden ist. Danach wird zusammen mit einer Windlastanalyse berechnet, wie es um die Bruchsicherheit des Baumes steht.
Ist die Stand- und Bruchsicherheit nicht mehr gegeben, kann durch einen Rückschnitt der Winddruck auf den Baum verringert werden. In Einzelfällen müssen Spork und seine Kollegen aber das Todesurteil für einen Baum fällen. „Das mag ich gar nicht gerne. Unser Ziel und das der Stadt ist es ja, jeden einzelnen Baum so lange wie möglich zu erhalten. Aber die Verkehrssicherheit geht vor und so steht immer eine große Verantwortung hinter jeder Entscheidung." Gerade in einem Park ist der Schutzanspruch deutlich höher als irgendwo an einem Feldweg.
4. Winter: Die Baumpflege
Bäume schneiden, Kronen sichern, Totholz enfernen, Verletzungen und Krankheiten rechtzeitig behandeln, neuen Bäumen optimale Wuchsbedingungen schaffen: Im Winter geht es an die Umsetzung der Maßnahmen, die Thomas Spork und seinen Kollegen in einem Katalog erarbeitet haben. Manche Arbeiten müssen sofort erledigt werden, andere sind weniger dringend und werden im Laufe des Jahres umgesetzt. Da es viel Fachkompetenz braucht, um die Vitalität von Bäumen zu erhalten und ihre Lebensdauer zu maximieren, beauftragt die Stadt für die notwendige Baumpflege ebenfalls spezialisierte Dienstleister.
Muss jedoch ein Baum gefällt werden, ist der Städtische Bauhof zuständig, ebenso für die Rasenpflege, das Reparieren von Bänken, die Sauberkeit im Park und das Schneeräumen. Koordiniert werden alle Maßnahmen von Thomas Baier vom Stadtbauamt. „Man braucht Ruheräume und Rückzugsbereiche in der Stadt und da ist der Baumgarten als historischer Ort sehr wichtig für Füssen. Wir wollen die Struktur und die Baumarten und damit die Atmosphäre des Parks möglichst so erhalten, wie er jetzt ist. So ein Gartendenkmal zu pflegen ist sehr aufwändig. Viele Arbeiten, die hier anfallen, sehen die Besucher eher nicht, weil sie den Baumgarten ja in einem optimalen Zustand vorfinden."
Die Bäume sollen möglichst wenig eingekürzt werden, so dass sie sich natürlich entfalten können, um gesund und vital zu bleiben. Heute befreien die Mitarbeiter der Baumpflege Steinhauser alte Linden von Totholz. Da mit der Hebebühne nicht alle Stellen erreicht werden, wird ein Mitarbeiter am Seil gesichert und klettert dorthin, wo etwas abgesägt werden muss. „Für mich ist es schön, an solche Orte zu kommen, für die andere tausende Kilometer anreisen. Der Baumgarten ist eine Perle der Natur und ich kann bei meiner Arbeit die tollen Ausblicke von den Bäumen aus genießen", erzählt Baumpfleger Frank Oestemer. Und sein Kollege Manuel Engler ergänzt: „Ich mag es, in der Natur und in den Bäumen zu sein, da ist immer ein bisschen Adrenalin dabei. Mich faszinieren die Baumriesen einfach und ich finde, dass die Natur insgesamt mehr "gehighlighted" werden sollte."
Auch mit dem Klimawandel, der mit intensiver Sonneneinstrahlung und starken Regenfällen einhergeht, muss sich die Stadt Füssen beschäftigen, wenn neue Bäume gepflanzt werden sollen. Für die Buchen im Baumgarten sind beispielsweise das abschüssige Gelände, in dem das Wasser schnell abfließt, sowie der felsige Untergrund mit wenig Humusauflage ein Problem, denn dadurch haben es die Bäume schwerer, Nährstoffe und Wasser aufzunehmen und festen Halt zu finden. Thomas Baier muss deshalb zusammen mit den Dienstleistern überlegen, welche Neupflanzungen auch in Zukunft im Baumgarten sinnvoll sind und welche Baumarten mit den Gegebenheiten eher nicht so gut zurechtkommen würden.
Auch kann es eine Gratwanderung sein, historisches Erbe und Baumschutz zu vereinbaren: „Im Baumgarten sind in den letzten Jahren einige Blickbeziehungen etwas zugewachsen, da wäre es gut, diese wieder frei zu schneiden. Dafür müssen wir aber irgendwo anders für einen Ausgleich sorgen."
Der erste Schnee legt einen weißen Teppich über die Wiesen und ziert Bäume und Sträucher. Die Geräusche der Stadt sind nun noch mehr gedämpft. Doch Winterschlaf hält der Baumgarten nicht, denn die Wege entlang der Hangkanten werden geräumt, so dass Besucher auch in der kaltem Jahreszeit dieses Stück Natur genießen können. Und schon in ein paar Monaten beginnt das Konzert der vielen Vögel von Neuem, die dann in den Baumriesen zwitschern und den Frühling verkünden.
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