Fantasiewelten erschaffen

Musicalregisseur Benjamin Sahler im Porträt

„Wir waren lange Zeit auf der Suche nach einem besonderen Stoff für die heutige Zeit“, erzählt der künstlerische Leiter des Festspielhaus Neuschwanstein in Füssen, Benjamin Sahler. Während des Gesprächs dringt die Bassstimme von König Sarastro aus „Zauberflöte – das Musical“  in das gläserne Foyer hinter der Königsloge des Theaters.

Sahlers neueste Inszenierung ist ein Kontrastprogramm zu den tragischen Musicals wie „Ludwig²“, „Die Päpstin“ oder „Zeppelin“, die hier auf einer der größten Musicalbühnen Europas schon gespielt wurden. Und auch ein Wagnis, orientiert sich die neue Produktion doch am Opernklassiker von Wolfgang Amadeus Mozart. „Das ist schon ein bisschen irre, die „Zauberflöte“ als Heiligtum der klassischen Musik nun als Musical zu inszenieren. Aber 250 Jahre nach ihrer Entstehung wollten wir die Geschichte fantasievoll und mit viel Humor neu erzählen und damit einen Kontrapunkt zum politischen Weltgeschehen setzen.“ Eine Premiere ist das neue Musical für den 50-Jährigen auch, weil er zum ersten Mal die Storyline eines Musicals selbst verfasst hat.

 

 

Foto: Krönungsszene (rechts) © Michael Böhmländer

 

Der Regisseur und Produzent für Musiktheater wagt gerne etwas Neues und geht es ohne große Gedankenkrämerei ganz pragmatisch an – egal, ob es um eine Neuinszenierung oder andere Dinge geht. Als das Musical über das Leben von König Ludwig II. in Füssen wiederbelebt werden sollte, startete er zusammen mit dem Geschäftspartner seines Online-Handels 2015 ein Crowdfunding im Internet und sammelte Gelder. Anfangs von vielen belächelt, war es nach Aussage Sahlers europaweit das erfolgreichste Crowdfunding-Projekt im Theaterbereich. „Ich habe im Auto immer wieder die Musik von „Ludwig²“ gehört und beim Schlusschor hatte ich oft Tränen in den Augen. Ich war überzeugt davon, dass die Botschaft des Königs auch andere tief berühren kann.“ Es war ein steiniger Weg, doch bereits 2016 wurde „Ludwig² – das Musical“ wieder in Füssen gespielt. Zu den 32 Aufführungen kamen damals mehr als 30.000 Zuschauer.

 

 

 

Ein Jahr später wurde Benjamin Sahler zum Theaterdirektor am Festspielhaus Neuschwanstein berufen, seitdem ist er fast durchgängig in der Stadt am Lech. Auf die wurde er übrigens durch den Textautor des Musicals Ludwig², Rolf Rettberg, aufmerksam, der sich intensiv um Investoren für das damals insolvente Füssener Musicaltheater bemühte. Zu dieser Zeit arbeitete Benjamin Sahler am Anhaltischen Theater Dessau und die beiden nahmen im benachbarten Wittenberg an einem Wettbewerb für ein Musical über den Kirchenreformator Martin Luther teil. „Rolf Rettberg schwärmte von Füssen als dem schönsten Ort, mit dem tollsten Musical und dem besten Produkt, da bin ich hellhörig geworden. Wir sind hergereist und saßen dann hier mit Blick auf Schloss Neuschwanstein, das ich zuvor nur von einem Schulausflug kannte. Ich kam mir vor wie in einem Film.“

Die Verbindung dieser Originalkulisse mit einem Musical, die tragische Lebensgeschichte des Königs, aber auch das Märchenhafte daran haben den Regisseur damals sofort fasziniert. „Im Festspielhaus Füssen verbindet sich das alles zu einem großartigen Gesamterlebnis und es ist hier ist etwas völlig Anderes, als wenn ich in einer Großstadt gehetzt von der Arbeit noch schnell abends ins Musical gehe und am Ende wieder im Staub der überfüllten Straßen stehe. Das Festspielhaus mit seiner Umgebung hat eine besondere Aura. Hier haben die Menschen eine Auszeit für die Seele.“

 

 

Foto: Szenenbild „Zeppelin – Das Musical“ (rechts) © Thomas Henne

 

Der Theaterdirektor will möglichst vielen Menschen unterschiedlichen Alters und auch im ländlichen Raum Kunst und Kultur zugänglich machen. Musicals sind seiner Meinung nach besonders dafür geeignet, denn sie begeistern mit ihrer Verbindung von Musik, eingängigen Songs, tollen Choreografien, bunten Kostümen, aufwändigen Bühnenbildern und vor allem mit ihrer Emotionalität. Bis ein Stück von der Idee bis zur Umsetzung steht, vergehen viele Monate, oft auch Jahre.

Eine bewegende Geschichte mit einer Botschaft, die von starken Charakteren erzählt wird, ist für Benjamin Sahler zentral für den Erfolg eines Musicals. Momente zu schaffen, die Menschen berühren und verzaubern, das ist seine Mission. „Es geht nicht nur um Entertainment. Ich suche konkret nach solchen Momenten in einem Stück, bei denen ich selbst ergriffen bin und versuche diese herauszuarbeiten. Meist sind das eben leider die traurigen Momente, wenn Lebenswege zu Ende gehen oder Beziehungen scheitern. Aber das ist so eine Art Katharsis und es tut einem gut, wenn man so berührt wird. Deshalb kommen die Menschen ja auch zu uns. Es macht etwas mit mir, wenn ich im Publikum Leute schluchzen höre.“ Seine größte Stärke sieht er darin, Bilder auf der Bühne zu erschaffen, deshalb bringt er sich beim Thema Bühnenbild und Beleuchtung besonders stark ein.

 

 

Foto: Szenenbild „Zeppelin – Das Musical“ (links und Mitte) © Michael Böhmländer 

 

Jeder Beteiligte, von der Kostümbildnerin bis zum Bühnenleiter, muss sich intensiv dem Stoff befassen, um das Stück und damit auch die Fantasiewelt lebendig werden zu lassen – alles Teamarbeit also. Benjamin Sahler versucht deshalb, alle Beteiligten demokratisch in den Prozess einzubeziehen. „Das ist nicht immer so einfach. Ich lasse den Künstlern gerne viel Freiheit, aber manche lassen sich auch lieber führen. Das ist eine Gratwanderung. Am Ende wollen wir ja alle gemeinsam etwas Besonderes erschaffen.“ Gerne probiert er einfach mal etwas aus, so wie beim Musical „Zeppelin“ ein ferngesteuertes Luftschiff in den Zuschauerraum fliegen zu lassen. Doch nicht alle Ideen sind technisch und darstellerisch umsetzbar oder sie wirken auf der Bühne anders, als er sich das zuvor vorgestellt hatte.

 

 

 

Einheimische spielen für seine Musicals eine wichtige Rolle. Am liebsten engagiert er Künstler aus der Region – vom Statisten bis zur Hauptrolle wie die Musicaldarstellerin Anna Hofbauer aus Marktoberdorf als Sissi in „Ludwig ²“. Ohne die heimischen Mitspieler und Tänzer wären viele Aufführungen gar nicht möglich. In der von ihm initiierten Musical Academy werden derzeit über 160 Kinder und Jugendliche in Gesang, Kunst und Schauspiel unterrichtet und viele von ihnen stehen dann bald selbst auf der großen Bühne des Festspielhauses.

 

Ursprünglich kommt Benjamin Sahler aus dem klassischen Bereich. So studierte er in Hamburg Musiktheaterregie, in Hagen Betriebswirtschaftslehre und reiste viel umher, um sich zusammen mit Studienfreunden in ganz Europa Operninszenierungen anzuschauen. Aufgewachsen ist er in Stuttgart. Seine Eltern haben ihm die Leidenschaft für klassische Musik sozusagen in die Wiege gelegt, beide musizieren und nahmen ihn gerne ins Theater und in die Oper mit – erstmals mit drei oder vier Jahren zu Humperdincks „Hänsel und Gretel“. „Das war ein sehr intensives Erlebnis für mich und die Bilder haben mich noch lange beschäftigt.“

Er lernte Klavier, Orgel und Cello, spielte in der Kirchengemeinde als Organist, besuchte ein Gymnasium mit Musikschwerpunkt und rockte mit Freunden eine kleine Band – mit dem großen Traum, irgendwann die Charts zu stürmen.

 

 

Nach dem Studium arbeitete Sahler an unterschiedlichen Theatern und Opernhäusern, so als Spielleiter am Südostbayerischen Städtetheater in Passau/Landshut oder als künstlerischer Leiter der Mitteldeutschen Kammeroper in Wittenberg. Daneben inszenierte er als freischaffender Regisseur Opern, Musicals und Theaterstücke. „Ich habe mich mit dem Regietheater im deutschsprachigen Raum aber schwer getan, in dem es oft darum geht, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten und die Menschen vor den Kopf zu stoßen oder sie zu provozieren.“

So wechselte er von der Oper zum Musical – und fand darin seine Berufung. Dieses Genre ist für den Regisseur und Produzenten eine große Spielwiese, in der er immer neue Fantasiewelten erschaffen kann –  ähnlich wie König Ludwig II. es mit seinen Schlössern getan hat. „Wir haben schon unsere Parallelen. Ludwig ist eine Inspirationsquelle für mich. Ich kann gut verstehen, dass er von der Welt mit ihren Zwängen die Nase voll hatte und sich lieber in seinen Schlössern „eingemauert“ hat. Außerdem war er wie ich ein großer Richard Wagner-Fan. Ich war schon als Kind von Wagners Opern begeistert, gerade die aufbrausende Musik hat mich beschäftigt und sicher auch dazu geführt, dass ich meinen Berufsweg gefunden habe. Außerdem mag ich so wie Ludwig diesen großen, weiten Naturraum, der einfach die Herzen öffnet.“

 

© Allgäu Concerts

40.000 Quadratmeter umfasst das Gelände des Festspielhauses Neuschwanstein auf einer aufgeschütteten Halbinsel am Forggensee, 20.000 Quadratmeter die Innenfläche. Außerdem ist das Musicaltheater weitestgehend privat finanziert und mit insgesamt 200 Mitarbeitern kein kleiner Betrieb.

Deshalb kann sich Benjamin Sahler nicht allein darauf konzentrieren, als künstlerischer Leiter das Gesamtprogramm zu planen, neue Stoffe auszusuchen, Ideen zur Umsetzung zu entwickeln, Regie zu führen oder Künstler bei Castings auszusuchen. „Ich muss im Alltagsgeschäft eher die Lücken suchen, in denen ich mal eine halbe Stunde Zeit habe, um eine Idee aufzuzeichnen und sie meiner Handyliste hinzuzufügen. Dann kann ich mir an einem Sonntag Gedanken zu einem neuen Stück  machen“, sagt er. „Es fallen hier für mich als Theaterleiter auch sehr viele administrative Aufgaben und Entscheidungen an: Von Künstlerverträgen, Reinigung, Versicherungen, Werbung und Marketing bis hin zu Energiesparmaßnahmen. Auch wenn wir in der Leitung des Festspielhauses zu dritt sind, müssen wir uns immer gemeinsam abstimmen.“

 

Obwohl sich Sahler am liebsten ganz auf das Theatermachen konzentrieren würde, sieht er auch die großen Vorteile, die sein dauerhaftes Engagement in Füssen mit sich bringt. „Mir ist es zum Beispiel sehr wichtig, dass ich bei möglichst vielen Vorstellungen dabei bin, damit der Spirit eines Stücks erhalten bleibt. Das ist etwas ganz Anderes, als wenn ein Regisseur etwas im Auftrag inszeniert und nach den ersten Aufführungen zum nächsten Projekt weiterzieht.“

Meist sitzt Sahler deshalb in der Personalloge oder im Zuschauerraum und bewundert dabei auch oft die extrovertierten Charaktere auf der Bühne. „Ich stehe nicht so gerne selbst im Rampenlicht, deshalb bin ich ja auch Regisseur geworden. Aber ich finde es toll, wie Künstler ihr Innerstes so nach außen kehren können und alles geben.“

 

 

© Festspielhaus Neuschwanstein
 

 

 

Seit letztem Jahr gibt es mit einer institutionellen Kulturförderung von Freistaat, Landkreis, Bezirk und Stadt auch mehr Planungssicherheit für das Musicaltheater am Forggensee. Die Auflage dafür: Jedes Jahr werden zwei neue Musicals produziert. Das ermöglicht dem Theaterdirektor, ein noch breiteres Spektrum an unterschiedlichen Stücken zu zeigen. „Da können wir auch mal ein Musical mit bayerischem Hintergrund wie „Der Brandner Kaspar“ machen oder etwas für Familien, für die wir in diesem Jahr noch ein neues Cinderella-Musical inszenieren werden.“

 

Benjamin Sahler geht ein paar Schritte am Forggenseeufer entlang. Viel Zeit hat er dafür nicht. Der nächste Termin, das nächste Gespräch, die nächste Probe im Festspielhaus warten. Trotzdem ist die Kulisse für ihn eine hoch willkommene Atempause. „Ich liebe die Berge und den Blick auf das Schloss. Mit meinem 24/7-Job bin ich auf der Festspielhaus-Halbinsel doch etwas in der Theaterblase gefangen, aber ich fühle mich hier mittlerweile auch zu Hause und könnte mir vorstellen, den Rest meines Lebens in Füssen zu verbringen.“

 

 

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